„Man muss Menschen schützen statt Rohstoffprojekte“

Marc Hoogsteyns/AP/picture alliance
Ein Polizist aus Ruanda (rechts) patrouilliert im August gemeinsam mit mosambikanischen Soldaten vor einem Luxushotel in Palma im Norden von Cabo Delgado.
Mosambik
In der Region Cabo Delgado gilt es, die Ursachen der Gewalt zu beseitigen. Gespräch mit Daniel Ribeiro von Justiça Ambiental in Maputo

Im Nordosten Mosambiks verbreitet eine islamistische Gruppe Angst und Schrecken. Um das Gebiet zu befrieden, setzt die Regierung auf Soldaten aus Ruanda und Militärhilfe aus Europa. Doch sie ist selbst ein Teil des Problems, sagt Daniel Ribeiro.

War Ihre Organisation von dem Konflikt in Cabo Delgado selbst betroffen?

Daniel Ribeiro ist technischer Koordinator bei Justiça Ambiental in Maputo, die für Umweltgerechtigkeit eintritt. Die NGO ist Mitglied von „Friends of the Earth International“ und ein Partner von Misereor.

Ja. Justiça Ambiental hatte dort seit 2007 Mitarbeitende und wir haben erlebt, wie die Situation sich nach und nach verschlechtert hat. Wir saßen in Palma, der Stadt bei den Erdgasprojekten, die im März 2021 tagelang von Aufständischen angegriffen wurde; danach haben wir als letzte NGO das Gebiet verlassen.

Der Konflikt wird in Deutschland meist so gedeutet, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Bevölkerung vor einer islamistischen Terrorgruppe zu schützen. Trifft das zu?
Das ist viel zu stark vereinfacht und ignoriert die wichtigste Frage: die nach den Ursachen der Gewalt. Bis 2017 benötigten wir in Cabo Delgado keinen militärischen Schutz, weil es keinen Konflikt gab. Auch die Bezeichnung „islamistische Extremisten“ trifft nicht wirklich. In Ostafrika ist der Islam seit Jahrhunderten stark, aber es gab bis vor kurzem keinerlei Interesse an extremen Strömungen. Nun sind die plötzlich für manche Jugendliche attraktiv.

Die Krisenprovinz Cabo Delgado

Cabo Delgado ist die nordöstliche Provinz Mosambiks an der Grenze zu Tansania. Dort leben schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen, mehr als vier Fünftel davon von Subsistenzlandwirtschaft oder ...

Woran liegt das?
An einer Kombination verschiedener Ursachen. Zu den wichtigsten gehören Landenteignungen für Projekte zur Ausbeutung der Naturressourcen. Nach dem Bürgerkrieg, der 1992 endete, setzte eine Suche nach Rohstoffen ein; man fand unter anderem Kohle, Titan, seltene Erden und Erdgas. Um Investoren anzulocken, hat die Regierung gerade im Norden Mosambiks zahlreiche Konzessionen für Bergbau, Rohstofferkundungen und Erdgasförderung vor der Küste vergeben. Nun wird in einigen davon tatsächlich Land von lokalen Gemeinschaften besetzt, besonders für Erdgasförderung.

In wie vielen Konzessionen wird schon gefördert?
Nur in einem sehr kleinen Teil. Aber in einigen Küstenabschnitten werden die Gemeinden vorgewarnt, dass die Förderung demnächst beginnt. Das Erdgas wird vor der Küste gefördert und an Land verarbeitet. Als die Firmen – darunter die italienische Eni und Total – ihre Projekte begannen, gab es Konsultationen mit betroffenen Gemeinden, und die brachten eine große Bitte vor: Falls wir umsiedeln müssen, brauchen wir als Fischer wieder Zugang zum Meer und als Bauern wieder gutes Agrarland. Und was passierte? Es gab Entschädigungen in Geld, aber die Gemeinden an der Küste wurden 15 Kilometer Luftlinie ins Inland umgesiedelt, so dass sie nicht mehr fischen konnten; Bauernfamilien bekamen ein Haus, aber kein neues Nutzland. Als die Gemeinden und NGOs auf die Probleme hinwiesen, sah die Regierung das als Bedrohung und griff zu Repressionen: Journalisten verschwanden, Aktivisten wurden verhaftet. So äußerte sich der Ärger schließlich in Gewalt. 

Wie viele Menschen sind von dem Gasprojekt betroffen?
Ungefähr 5000, ein kleiner Teil der Bevölkerung. Aber es zeigt, wie ausländische Firmen auftreten. Und die wichtigste indirekte Folge war die Unterdrückung der Zivilgesellschaft. Zudem gibt es Landraub auch aus anderen Gründen, und Menschen werden noch weitere informelle Einkommensmöglichkeiten genommen. In Cabo Delgado hatten Einheimische ein großes Rubinvorkommen entdeckt und beuteten es aus, über Mittelsmänner brachten sie die Steine auf den Weltmarkt. Als die Regierung das mitbekam, hat sie es nicht in ein formelles Geschäft überführt, sondern kriminalisiert: Sie hat das Militär geschickt, es gab Tote, die Kleinschürfer wurden vertrieben und dann hat die Regierung die Minen übernommen und die Konzessionen an internationale Bergbaufirmen verkauft. Zudem missachtete die Regierung Menschenrechte, war enorm korrupt und die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2014 und 2019 waren von großen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet. Aber die Geberländer schauten aus Rücksicht auf die Investitionen weg. Diese Atmosphäre der Straflosigkeit bestärkte die Regierung.

Wer sind die Aufständischen?
Es weist alles darauf hin, dass hinter den ersten Anschlägen 2017 eine lokale Gruppe stand. Es war ein Wutausbruch. Die Polizei und Einrichtungen der Regierung wurden angegriffen. Die Gruppe hat dann islamistische Ideen aufgegriffen und Verbindungen zu internationalen Terrorgruppen wie dem Islamischen Staat sind entstanden. Man weiß nicht genau, ob die Aufständischen praktische Hilfe vom IS bekommen, aber beide sind ideologisch nahe und kommunizieren miteinander.

Vertriebene warten Ende Juni in einem Sammellager nahe der Stadt Mueda in Cabo Delgado, wo die Behörden sie hinbringen. Vor der Gewalt ist in der Provinz bis zu ein Drittel der Bevölkerung geflohen.

Für wie gefährlich halten Sie die Gruppe?
Sie ist extrem gefährlich. Sie hat Menschen öffentlich enthauptet, sie entführt Menschen, greift Dörfer an, brennt Häuser nieder und tötet wahllos. Die Gruppe verbreitet Angst und Schrecken. Über 700.000 Menschen sind vertrieben worden und Tausende umgekommen.

Wie hat die Regierung reagiert?
Sehr langsam. Anfangs hat sie den Aufstand unterschätzt und gedacht, sie kann ihn mit einer Kombination aus Militarisierung und dem Einsatz von Sicherheitsfirmen kontrollieren und dabei noch Geld abschöpfen. Um Gasförderanlagen zu schützen, wurden private Sicherheitsdienste angeheuert – internationale und lokale, an einigen hiervon haben Mitglieder der Regierung Geschäftsanteile. Auch Söldner wurden nach Cabo Delgado gebracht, darunter von der russischen Wagner-Gruppe und von zwei südafrikanischen Firmen. Das Hauptziel war und ist, die Investitionen zu schützen, nicht die Bevölkerung. Während des Angriffs auf Palma im März beschützten mehr als 800 Soldaten die Anlagen von Total und nur etwa 30 die Stadt. Im Hinterland hat man so dem Aufstand erlaubt, neue Kämpfer zu rekrutieren.

Auch das Militär hat Zivilisten misshandelt?
Ja, in vielen Fällen. Videos zeigen zum Beispiel Soldaten, die eine Frau töten oder Menschen umbringen und dann behaupten, die seien Aufständische gewesen. Dazu muss man aber die schwierige Lage der Soldaten selbst sehen. Die Militärpräsenz in Cabo Delgado wurde schnell erhöht, ohne logistische Engpässe zu bedenken, so dass Soldaten keine Verpflegung oder keinen Sold bekamen. Einige waren schlicht verzweifelt und nahmen sich mit Gewalt Nahrung auf dem Markt oder von Dorfgemeinschaften. Zudem wurden eilig zusätzliche Truppen rekrutiert und nur kurz und schlecht ausgebildet. Viele waren ortsfremd, konnten die lokale Sprache nicht und hatten in dem Konfliktgebiet Angst. Sie verdächtigten jeden, ein Rebell zu sein, und gingen unnötig hart vor. Der Konzern Total hat dem Militär Geld gegeben, um die Lage der Soldaten zu verbessern, aber dieses Geld haben hochrangige Generäle für sich abgezweigt.

Die Regierung erhält jetzt Ausbildungshilfe aus Europa, unter anderem von Portugal. Was wird das nutzen?
Der Bevölkerung nicht viel. Die Führung der Armee in Mosambik ist in Kriminalität verstrickt, darunter illegaler Holzeinschlag und Handel mit Wildtieren und Elfenbein. Außerdem wird die Armee eingesetzt, um Gruppen der Zivilgesellschaft und Journalisten zu unterdrücken. Wer ihre Fähigkeiten stärkt, stärkt auch die zu Repression. Ich selbst bin als Aktivist häufig von Militärs festgenommen und bedroht worden.

Mosambik hat auch ruandische Truppen zu Hilfe geholt, die als kampfstark und diszipliniert gelten. Wird das helfen?
Diszipliniert heißt, die ruandischen Truppen werden kaum vergewaltigen oder Geld erpressen. Aber auch sie können nicht lokale Bauern von Rebellen unterscheiden, die sich nach Anschlägen in den Dörfern verbergen. 

Was ist nötig, damit die Gewalt abflaut?
Die Straflosigkeit für Militärs muss enden. Verletzungen der Menschenrechte und Korruption müssen endlich Konsequenzen haben. Und der Fokus des Einsatzes muss geändert werden: Vorrang muss der Schutz der Menschen bekommen. Aber ein rein militärisches Vorgehen kann keine dauerhafte Lösung bringen – das ist in Afghanistan oder Mali auch gescheitert. Wir müssen als Erstes die Perspektive ändern und die sozioökonomischen Ursachen der Gewalt anerkennen. Man muss in die Ausbildung der Einheimischen investieren, damit nicht nur Leute von außen die Jobs bekommen, die in Projekten entstehen. Und man muss die Lebensgrundlagen schützen, besonders die Landrechte.

So wie Sie den Staat schildern, fragt man sich aber: Wie wahrscheinlich ist es, dass das Militär rechenschaftspflichtig wird und die Menschen schützt?
Unwahrscheinlich. Da ist Druck von außen nötig. Mehr als vier Fünftel des Staatshaushaltes von Mosambik werden von Gebern finanziert wie Europa, den USA und der Weltbank. Und auch die Unternehmen, die in Mosambik investieren, haben großen Einfluss und könnten ihre Investitionen mit Bedingungen verknüpfen. Bisher nutzen sie den Einfluss allerdings, um für sie vorteilhafte Verträge zu bekommen und ihre Profite zu maximieren. Nach unseren Schätzungen werden die Gasprojekte deshalb der Wirtschaft von Mosambik kaum etwas bringen, so dass die politischen Probleme wachsen werden. Ganz davon abgesehen, dass Erdgas, wenn man Förderung, Aufbereitung und Transport mitrechnet, nicht weniger klimaschädlich ist als Kohle. Wenn die Unternehmen Stabilität und Sicherheit in einem Gebiet wollen, sollten sie dafür sorgen, dass ihre Investitionen auch das Leben der Einheimischen verbessern.

Und die Geberländer sollten Druck ausüben?
Ja. Europa sollte endlich zur Kenntnis nehmen, mit welcher korrupten und die Menschenrechte verletzenden Regierung es in Mosambik zu tun hat.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2021: Pfingstler auf dem Vormarsch
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